Kategorie: Hörspiele,Maestro

Peter

 Als Peter die Augen öffnet, ist es draußen noch dunkel und kalt. Die Mama hat ihn wie jeden Morgen aufgeweckt und ihm einen sanften und liebevollen Kuss auf die Stirn gedrückt. Er schaut sich ein wenig verschlafen in seinem Zimmer um. Noch etwas verwirrt, so als ob er den Tisch mit dem Malkasten, die bunte Nachttischlampe und seinen heiß geliebten Teddybären zum ersten Mal sehen würde. Dann blinzelt er noch kurz, fährt sich mit seiner großen weichen Zunge über die Lippen und stellt bedächtig sein nackten Füße auf den Schlafzimmerboden. „Brrrrrrr, kalt!“, sagt er und kichert, weil er das Kribbeln so lustig findet. Dann schlüpft er in seine blauen Frotteehausschuhe. Er mag das Gefühl des weichen Stoffs, der sich sanft an seine leicht dicklichen Füße schmiegt.

Mit einem leisen Ächzen steht er auf und watschelt hinaus in die Küche, aus der es bereits verlockend duftet. Die Mama hat schon Frühstück gemacht. Zufrieden setzt er sich an den liebevoll gedeckten Holztisch in der Küche. Natürlich auf seinen Lieblingsplatz an der Eckbank.

„Was möchtest Du heute gerne zum Frühstück?“, fragt ihn die Mama.

„Bratapfel!“, ruft Peter begeistert.

„Aber Peter, Bratapfel isst man doch nicht zum Frühstück.“

Peter guckt traurig. „Ist aber lecker“, sagt er.

„Ja, aber für Bratäpfel muss man erst den Ofen anmachen und das Vorbereiten und Braten braucht auch seine Zeit. Die haben wir morgens nicht.“

„Achso“, sagt Peter. „Hmmmm“, macht er und rollt angestrengt mit den Augen, als er überlegt. „Toast“, sagt er. „Ich will Toast – Und Marmelade!“ genüsslich leckt er sich über seine vollen Lippen. Dann schaut er kurz erschrocken, da ihm noch etwas Wichtiges eingefallen ist: „Und, und ich will Kaffee!“

„Na gut, aber nur Milchkaffee, sonst wirst Du wieder so aufgeregt“, sagt die Mama.

Sie stellt ihm einen Teller mit zwei knusprigen Scheiben Toast vor die Nase und gießt ihm einen kleinen Schluck Kaffee in einen Becher mit warmer Milch.

Voller Vorfreude auf das leckere Frühstück schmatzt Peter ein paar mal, nimmt ein Messer und schmiert Butter auf den warmen und krossen Toast. Es ist ganz schön schwer das Messer in seinen knubbligen Händen zu halten, aber die Mama hat die Butter rechtzeitig raus gestellt, so dass sie sich gut streichen lässt. Danach fummelt er etwas unbeholfen am Glas mit der selbstgemachten Stachelbeermarmelade herum. Doch als er sie aufbekommt, ist er sehr stolz auf sich und grinst verschmitzt. Die Marmelade aus dem Glas zu bekommen ist wirklich nicht einfach, aber er hat viel geübt und als er sich konzentriert, gelingt es ihm auch gut, die Marmelade auf das Objekt seiner kulinarischen Begierde zu platzieren.

„Kulinarisch“, sagt er vor sich hin. Das ist ein tolles Wort, das er erst seit Kurzem kennt. Es hat irgendetwas mit Essen zu tun und er ist stolz, dass er es fehlerfrei aussprechen kann, denn das ist ein fremdes Wort. Auch seine Lehrerin hat ihn schon dafür gelobt, dass er es so schön sagen kann.

Während er nochmal „kulinarisch“ murmelt, dringt ihm plötzlich ein wundervoller Duft in die Nase. Richtig, da war ja noch sein Frühstück, das auf ihn wartet. Manchmal vergisst er sowas, wenn er nachdenkt. Er grinst bis über beide Ohren, weil er sich schon so auf sein leckeres Essen freut.

Er nimmt den Toast in die Hand und beißt herzhaft hinein.

Wie schön das ist! Das knackige Weißbrot zerbröselt knirschend in seinem Mund und schmeckt ganz knusprig. Und erst die Butter mit der Marmelade, die ganz süß und dann ein bisschen sauer auf seiner Zunge zerläuft. Genussvoll schließt Peter seine großen Augen und gibt ein von Herzen kommendes „Hmmmm“ von sich. Essen ist wirklich etwas Feines!

Bedächtig und konzentriert isst er weiter. Jeder Bissen schmeckt ein bisschen anders und irgendwie noch besser als der Vorherige. Zwischendurch nimmt er immer wieder einen kleinen Schluck von seinem „Milchkaffee“. Das ist auch ein toller Geschmack und er mag das Gefühl so gerne, wenn die etwas dickflüssige Milch über seine Zunge rinnt. Zum Glück weiß die Mama, dass er zum Frühstücken so viel Zeit braucht und weckt ihn immer rechtzeitig.

„Und was machen wir jetzt?“, fragt Mama den Peter, als er fertig gegessen hat.

Da legt sich seine Stirn in Falten und er überlegt angestrengt. Dann hat er eine Idee und sagt etwas vorsichtig und mit einem scheuen Lächeln: „Nach dem Essen Zähneputzen nicht vergessen.“

„Richtig“, sagt die Mama.

Da wird das Lächeln auf seinem Gesicht schnell wieder richtig breit und er rutscht flott von der Bank und hopst in Richtung Badezimmer. Dann fällt ihm aber noch etwas Wichtiges ein. Wie ein übereifriger Welpe rutscht er noch ein wenig über den Flurboden, als er plötzlich mitten im Lauf innehält. Dann stürmt er zurück und umarmt die Mama ganz doll.

„Danke für das lecker Essen, Mama!“, ruft er freudig und etwas zu laut. „Ich hab Dich lieb!“

„Ich hab Dich auch lieb“, sagt die Mama und streicht ihm durch sein dickes und dichtes Haar. „Aber bitte sei nicht ganz so stürmisch, Du bist ja schon ein großer Junge. Fast hättest Du mich umgeworfen!“

„Jaahaaa“, sagt Peter etwas maulig und geht ins Badezimmer um sich die Zähne zu putzen.

Mittlerweile mag er das auch. Früher fand er die Zahnpasta immer viel zu bitter. Manchmal hat er dann ganz schön wild getobt und die Mama hat geschimpft, weil er die Zahnpasta und die Bürste durch das ganze Bad gepfeffert hat. Aber jetzt haben sie eine Zahnpasta gefunden, die nach Orange schmeckt, und seitdem putzt sich Peter wirklich gerne die Zähne.

Er genießt es, wenn die Borsten der Zahnbürste über seine Zähne reiben und wenn die kleinen Blasen des Schaums mit einem leichten Prickeln in seinem Mund platzen.

Nach dem Zähneputzen geht er gemütlich in sein Zimmer und bohrt auf dem Weg ein bisschen in der Nase. Zum Glück schaut die Mama grade nicht hin, denn die mag das nicht. Dann schlüpft er in seine Anziehsachen, die sie ihm gestern Abend zurecht gelegt hat. Bei der Hose tut er sich immer etwas schwer, da er da so lange auf einem Bein stehen muss. Aber mittlerweile bekommt er das gut hin. Sogar die Schuhe kann er sich jetzt alleine binden. Darauf ist er wirklich stolz.

Im Flur zieht er sich noch seine Jacke an.

„Was macht ihr heute in der Schule?“, fragt ihn die Mama.

„Der Nikolaus kommt!“, ruft Peter begeistert, lacht laut und klatscht vor lauter Freude in die Hände.

„Oh, das ist aber schön!“

„Jaaahaaaa!“, schreit da Peter ganz laut, hüpft auf und ab und trampelt vor lauter Glück mit den Füßen.

Da muss auch die Mama lachen, als sie sieht, wie sehr er sich freut.

„Was bringt Dir denn der Nikolaus mit?“, fragt sie.

„Ski“, antwortet Peter wie aus der Pistole geschossen.

„Wahrscheinlich meinst Du die Kurzski, die wir neulich zusammen ausgesucht haben“, meint die Mama. „Aber die bringt das Christkind, nicht der Nikolaus.“

„Achso“, sagt da Peter, guckt etwas traurig und zuckt mit den Schultern.

„Dafür hat der Nikolaus bestimmt ein paar Nüsse und Mandarinen dabei und vielleicht auch Lebkuchen“, macht sie ihm Hoffnung.

Da schleicht sich schon wieder ein Lächeln auf sein feistes Gesicht. Lebkuchen mag er nämlich besonders gerne.

„Der Bus kommt sicher bald, gehen wir doch schon mal raus“, sagt die Mama und ihre Mundwinkel zucken dabei leicht nach oben, da sie schon ahnt, was gleich passiert.

Sie öffnet die Tür und eiskalte Luft strömt in den Flur.

„UUUIIIIII!!!“, quietscht Peter. „Schnee, Schnee, Schnee!“

Er stürmt lautstark in den kleinen Garten vor dem Haus, der über Nacht in knietiefem Pulverschnee versunken ist, und lacht aus vollem Herzen. Mit seinen Händen greift er in das lockere Weiß und wirft es jauchzend in die Luft. Er streckt seine Nase in den Himmel und lässt sich den flockigen Schneestaub aufs Gesicht fallen. Die schnell schmelzenden Kristalle bilden kleine Wasserrinnsale, die ihm über die rot glänzenden Wangen in die noch spärlich wachsenden Bartstoppeln rinnen. Die Kälte kümmert ihn nicht. Er spürt sie nicht mal vor lauter Freude.

Peter tanzt durch den frischen Schnee und singt und lacht dabei. Während ihm seine Mutter mit einem zufriedenen Lächeln zusieht, dämmert langsam das erste Tageslicht über die Berge.

Die Nachbarn sitzen im Haus nebenan am Frühstückstisch im rustikalen, leicht angestaubten Esszimmer. Die Stimmung ist eher frostig. Eigentlich kann sie ihren Mann schon lange nicht mehr sehen, der sich wie immer hinter der Lokalzeitung vergräbt. Aber man lässt sich nicht scheiden, das gehört sich nicht. Wo sollte sie auch hin mit ihrer kleinen Rente? Das Geschrei aus dem Nachbarsgarten schreckt sie aus der täglichen Morgenlethargie und sie späht durch das Fenster.

„Widerlich, einfach eklig“, zischt sie. „Jetzt ist der Junge schon fünfzehn Jahre alt und spinnt immer noch wie ein kleines Kind. Früher hätte man sowas einfach weggespritzt!“

„Genau!“, ertönt es zustimmend hinter den vielen bunten Bildern und Großbuchstaben, die einem so leichtverständlich die Welt erklären.

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