Zimmer 42
„Guten Morgen, Frau Krumbichler“
„Wer sind sie? Was zur Hölle wollens denn?!“, tönt es dem Jonathan gewohnt fröhlich entgegen.
„Ich bin’s, Frau Krumbichler, der Jonathan, der Zivi“, erwidert der. „ich komm um sie zu waschen und ihnen beim Anziehen zu helfen.“
„Aha, und warum?“
„Weil ich keine Lust hab Menschen totzuschießen und weil sie bestimmt lieber sauber den Tag beginnen möchten.“ Routiniert nähert er sich der missmutigen und übel müffelnden alten Frau. Die Waschlappen und die Schüssel mit dem warmen Wasser hat er sich schon vorher zurechtgelegt, er ist ja kein Anfänger mehr.
„Was ist denn das für eine Art, mitten in der Nacht! Du bist doch ein Lump, ein ausgekochter Lump bist du!“
„Frau Krumbichler, mir wär es auch lieber, wenn ich jetzt noch gemütlich in meinem Bett liegen könnte, aber leider ist es nun mal an der Zeit und sonst werd ich mit meiner Arbeit nicht fertig.“ Er reibt sich noch mal über die Augen, denn so wirklich lange geschlafen hat er nicht, der Jonathan. „Scheiße, so eine Scheiße!“
In Gedanken gibt der Jonathan der Frau Krummbichler da vollkommen recht, als er naserümpfend die Bettdecke zurückschlägt und die Windel, Verzeihung, natürlich die Inkontinenzvorlage, wie das auf Fachchinesisch heißt, öffnet.
„Scheiße, verfluchte Scheiße!“
„Ja, Frau Krumbichler.“ Der Jonathan schnappt sich das stinkende Etwas, also nicht die Frau Krumbichler, sondern das Teil, das ihre Hinterlassenschaften der letzten Nacht beinhaltet, und befördert es fachgerecht in den bereitstehenden Mülleimer. Dann schnappt er sich den Einmalwaschlappen und die Schüssel und ist bereit loszulegen.
„So, Frau Krumbichler, ich wasch sie jetzt mal da Untenrum.“
„Aha, soso, Untenrum, wie? Des gfällt dir, oder? Bist a Russ, oder was?“
„Nein, Frau Krummbichler, ich bin der Jonathan, ich komm von hier und ich könnt mir grad auch was Schöneres vorstellen.“ „Was will die denn jetzt mit den Russen?“, fragt sich der Jonathan.
Jetzt ist es eben so, dass der Jonathan zwar ein fleißiger Schüler war, sich aber sowohl mit der Lebensgeschichte von der Frau Krummbichler, als auch mit der Geschichte vom Nachkriegsdeutschland nicht so wirklich genau auskennt. Sonst wüsst er, dass die Frau Krummbichler als junge Frau in Berlin war, als wir den Krieg verloren haben und was die Russen dort mit den deutschen Mädeln so „Untenrum“ gemacht haben.., na da hätt sich die junge Frau Krummbichler sicher auch was Schöneres vorstellen können.
„So, jetzt sind wir ja schon fertig. War Doch kein Problem, oder?“
„Problem, Problem, Du weißt doch überhaupts ned, was Probleme sind!“
„Sie sind ja heute wieder gut gelaunt“, kommentiert der Jonathan. „Als ob ich mit der alten Schachtel nicht genug Probleme hätte. Die liegt einfach nur in ihrem Bett und schimpft und stinkt und ich muss mir das antun“, denkt er sich.
Trotzdem hat sie da schon a bisserl Recht, die gute Frau, denn leicht hat sie es wirklich nicht gehabt, damals, als sie sich das Kind hat wegmachen lassen müssen, damit sie nicht angespuckt wird im Dorf, weil sie an Russenbastard kriegt. Wie sie noch drei Jahr lang auf ihren Mann gewartet hat, und nicht gewusst hat, ob der jemals wieder kommt. Ganz zu schweigen davon, als er dann wieder da war, mit nur einem Bein und einer pfeifenden Lunge. Und wie sie immer wieder aufgewacht ist, mitten in der Nacht, weil er so geschrien hat. Aber erzählt hat er nie was. Hat nicht drüber reden wollen. Das hat sie dann schon verstanden. Alles hat sie ihm ja auch nicht erzählt. Das wär wirklich nicht gegangen.
Der Jonathan hat der Frau Krummbichler noch eine bequeme Jogginghose angezogen. Er lässt seinen Blick durch ihr spärlich möbliertes Zimmer schweifen und bleibt dann an einem Bild auf ihrem Nachttisch hängen. Es ist eine alte Schwarzweißfotographie, die einen jungen Mann in Wehrmachtsuniform zeigt. Um sie ein wenig abzulenken fragt er sie: „Ist das ihr Mann, Frau Krummbichler?“
Sie blickt auf das Foto und sagt: „Ja, das war mein Erich. Ein guter Mann ist das gwesen, ein guter Mann.“ Sie seufzt. „Das war im Krieg, als das gemacht wurde, da war er zwei Wochen auf Fronturlaub. Danach hab ich ihn lang nimmer gsehn.“
„Aber er ist nicht gefallen im Krieg?“
„Nein, ich hab ihn dann schon wieder kriegt, aber so fesch hat er dann nimmer ausgschaut.“ Sie kichert vor sich hin. „Nein, ganz unbeschädigt war er wirklich nimmer.“
„Das tut mir leid, Frau Krummbichler.“
„Ach mei, zumindest isser Heim kommen, da ham Andere mehr Pech ghabt. Und geblieben isser auch, Gott sei Dank.“
„Na da werden sie schon gut für ihn gesorgt haben, oder nicht?“
„Ja freilich, er war schon a Pfundskerl.“
„Das freut mich für sie.“ Der Jonathan packt seine Pflegeutensilien ein und macht sich bereit fürs nächste Zimmer. Er beugt sich noch mal über das Bett um zu sehen, ob die Klingel auch in Reichweite ist.
Da wuschelt ihm die Frau Krummbichler durch die Haare. „Du bist scho auch ein Guter, ich wünsch dir, dasst kein Krieg mitmachen musst.“
„Das wünsch ich mir auch, Frau Krummbichler. Aber ich muss leider weiter, bis später dann.“
„Ja, bis später dann.“
Als der Jonathan das Zimmer verlässt, fällt ihm auf, dass die Frau Krummbichler plötzlich ganz normal war, als sie von ihrem Mann erzählt hat. „Schon seltsam, das mit der Demenz“, denkt er sich, als er die Zimmertür hinter sich schließt.
Die Frau Krummbichler liegt lächelnd und zufrieden in ihrem Bett. Es tut ihr schon ein bisserl leid, dass sie sich immer so deppert stellt, wenn das Personal im Zimmer ist, aber wenn du ganz vernünftig bist, dann kriegst hier wegen dem Zeitmangel in der Früh nie eine gute Unterhaltung zustande.