Kategorie: Geschichten,Maestro

Die Botschaft

Ich war an einem neuen Tiefpunkt im Leben angekommen. Jede Menge Ärger und Probleme, keine neuen Perspektiven, alle Hoffnungen zerschlagen. Ich fühlte mich wie ein alter und benutzter Waschlappen. Ausgewrungen, ohne Spannkraft und Sinn. Ich hing am Haken, fühlte mich klamm, nutzlos und immer noch nicht reif für die Mülltonne.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mich schon in meiner Wohnung eingesperrt hatte, die Vorhänge fest zugezogen, als einzige Beleuchtung das Flackern des Fernsehers, welches gespenstische Schatten an die Wand warf. Ich hatte mich eingesperrt. Ich ließ Niemanden an mich heran, ging nicht ans Telefon, verbrauchte irgendwelche verstaubten Konserven aus den Regalen um bloß nicht dem Trubel und den Blicken der Kunden und Angestellten eines Supermarktes ausgesetzt zu sein.

 

Und dann, von irgendwoher aus den Tiefen meiner Seele drang ein Lichtschein durch die Schlieren in meinem Meer aus Trübsal. „Geh nach draußen!“ Riet mir meine innere Stimme. „Geh in die Natur, fühle den Wind im Haar, die Sonne im Gesicht, atme tief durch und spüre das Leben.“

„Na toll. Schon wieder. Hab keine Lust.“ Dachte ich mir. Doch wie ein Schössling im Frühjahr durchbrach die Hoffnung, genährt und gelockt vom hellen Licht meiner Seele, die verhärtete und tote Kruste meiner Gefühle. Unwillig aber folgsam gehorchte ich meiner inneren Führung.

Warme frische Luft, geschwängert von Blütenduft schlug mir entgegen. Anscheinend war es Frühling geworden. In mir herrschte immer noch eisiger Winter. Dennoch wollte ich einen Versuch wagen. Ich schleppte mich zu meinem Fahrrad und machte mich auf den Weg ins Grüne.

Ich fuhr ein bisschen in der Gegend herum, bis ich an einen Ort kam, den ich zwar als Kind sehr geschätzt, jedoch seit Jahren nicht mehr aufgesucht hatte. Er hatte sich ziemlich verändert. In der Nähe stand eine Sitzbank und Irgendjemand war auf die glorreiche Idee gekommen keine zwanzig Meter entfernt eine gewaltige Menge Bauschutt und Geröll abzuladen. Es tat mir weh, diesen Platz so verändert, beschmutzt und mit Müll überhäuft zu sehen. Ich konnte diesen Zustand allerdings auch für mich selbst in Anspruch nehmen. Spontan kam mir eine Idee. Ich wollte diesen Ort verschönern, ihm etwas geben. Ich hatte die Hoffnung, dass eine Veränderung an diesem geschundenen Ort auch etwas in mir ändern könnte. Es war Auf jeden Fall besser etwas zu tun, als weiter im Weltschmerz zu versinken, denn das hatte ich die letzten Wochen schließlich mehr als genug zelebriert.

Ich beschloss, etwas Kreatives zu tun. Wie so oft fiel mir zunächst nichts ein. Ich streifte umher, sah mir das zur Verfügung stehende Material genau an und langsam aber mit gesetzmäßiger Gewissheit, entstand in mir eine Idee. Ich wollte nicht einfach nur etwas Schönes schaffen. So etwas liegt mir nicht. Ich will Menschen berühren, sie anregen, sich aus der Mischung aus Kollektivneurose und konsumorientiertem Bewusstseinsselbstmord zu befreien. Ich will, dass wir Menschen wieder beginnen zu lieben, Respekt und Achtung zu zeigen und auf unsere innere Führung vertrauen. Es sollte also nicht nur ein Kunstwerk sein, sondern eine Botschaft. Etwas Interessantes, das zum Nachdenken anregt und doch Zuversicht vermittelt.

Ich fegte mit einem losen Zweig einen kleinen Platz frei, an dem ich meine Nachricht platzieren wollte und sammelte Steine aus der Geröllhalde. Sie fühlten sich staubig und trocken an. Ich genoss das Gefühl der Wärme, die die von der Sonne gewärmten Kiesel auf meine Hand übertrugen. Es gab mir neuen Lebensmut und Frieden.

Ich hatte einige Mühe damit, die Botschaft mit den warmen Steinen auf die Erde zu schreiben. Es war gar nicht so einfach, die richtigen Steine zu finden und den Abstand zwischen den Buchstaben und Wörtern auf dem begrenzten Platz zu arrangieren. Ich fühlte mich wie ein Schiffbrüchiger, der auf einer einsamen Insel gestrandet ist und nun mit letzter Kraft ein SOS auf den heißen Sandstrand legt, mit der verzweifelten Hoffnung auf Rettung. Während ich mich ganz diesem Tun hingab, stand seit so langer Zeit endlich wieder das Karussell meiner Gedanken still. Ich lebte im Augenblick. Für mich gab es in diesem Moment nur kleine Steine, Erde und das schöpferische Wirken meiner Hände. Die Stille in meinem Kopf befreite mich, schenkte mir Ruhe und langsam aber sicher kehrte mein Vertrauen in mich selbst zurück.

Es war unwichtig, wie lange ich an dieser Botschaft arbeitete. Auf einmal hatte ich keinen Berg aus versäumten und drängenden Erledigungen mehr im Nacken sitzen, den ich nur gelegentlich beiseite schob, um mich dafür zu schelten, wieder nichts Wichtiges erledigt zu haben. Ich hatte Zeit. Sie war nichts, das mir davonrannte. Anscheinend hatte mir eine Fügung des Schicksals eine Stundenblume in die Hand gedrückt die erblühte, weil ich etwas Schönes und Gutes tat.

 

Als ich aus diesem Geschenk der Zeitlosigkeit heraustrat, war mein Werk vollendet. Meine Botschaft war zu einer Frage geworden. Zu einer zentralen Frage, die wir uns im Leben immer wieder stellen sollten.

Ich stellte mir vor, wie die verschiedensten Menschen an dieser Botschaft vorbeigehen würden. Würden sie davon berührt, verängstigt, aufgeweckt, oder erschüttert werden? Würden sie sie verspotten, ignorieren oder zerstören? Natürlich wünschte ich mir etwas Schönes, doch es war nicht wichtig. Ich hatte einen Impuls gesetzt. Für mich und für meine Umwelt. Das war Alles was zählte.

Zufrieden betrachtete ich das Ergebnis meiner Kunst. Der Nebel der Sorge hatte sich gelichtet. Ich erstrahlte im hellen Glanze der Schöpfung, fühlte mich endlich wieder wie ein Teil des Ganzen.

Zufrieden fuhr ich nach Hause. Es gab keinen Grund mehr zu trauern, denn trotz aller Widrigkeiten hatte ich die Frage mit „Ja“ beantworten können.

Sie lautete:

 

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